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Es wird immer wahrscheinlicher, dass ich die bekannte Altersgelassenheit endlich erreiche, die meine Fantasie bereits seit einiger Zeit immer wieder beschäftigt.

Mein Geburtstag

Nach und nach trudeln alle Familienmitglieder nach einem langen Arbeitstag ein und freuen sich, das Geburtstagskind hoch leben zu lassen.

 

Ich habe liebevoll verschiedene Aufstriche mit frischem Baguette vorbereitet und natürlich auch eine Geburtstagstorte.

 

Wir öffnen eine Flasche Sekt und stoßen fröhlich miteinander an.

 

Von ihrem Hundekörbchen aus schaut Minnie dem Trubel ein Weilchen zu. Insgeheim denkt sie: „Irgendwem wird bestimmt auffallen, dass ich doch auch etwas abhaben möchte.“ Aber das passiert nicht. Also muss Minnie wohl oder übel nachhelfen.

 

Sie stellt sich zuerst neben ihr Herrchen und setzt ihren Ich-hab-seit-Tagen-nichts-gegessen-Blick auf. Den beherrscht Minnie perfekt.

 

Ich durchschaue das aber sofort und reagiere gelassen mit „Minnie nein, das ist nichts für dich“.

 

Aber Minnie wäre nicht Minnie, wenn sie jetzt aufgeben würde. Also dreht sie sich zu mir um und himmelt mich ausdauernd mit dem selben niedlichen Hundeblick an.

 

Gespielt ignoriere ich Minnie, während ich sie im Augenwinkel weiter beobachte.

 

Minnie weiß natürlich, wenn sie nur lang genug süß schaut, ihr Köpfchen schräg hält und ihren herzigsten Hundeblick aufsetzt, dann wird irgendjemand weich und lässt sie mitnaschen. 

 

So stapft sie kurzerhand weiter zu Oma. Minnie liebt Oma, vor allem auch, weil sie weiß, dass Oma immer, wirklich immer, etwas Leckeres für sie aus ihren Taschen zaubert. Aber auch das durchschaue ich sofort und ermahne Oma, ihr heute bitte wirklich nichts abzugeben. Minnie hat nämlich einen etwas empfindlichen Magen und verträgt so manches Menschen-Essen nicht gut. Das endet dann oft mit Durchfall oder Erbrechen oder beidem. 

 

Weil es Oma sooo schwerfällt, Minnie nichts abzugeben, dreht sie ihr laut protestierend ihren Rücken zu, und ruft „Moi, der arme Hund muss zuschauen, wie wir hier essen!“ 

 

Minnie wartet noch ein wenig, und als Oma tatsächlich nicht reagiert, versucht sie es einfach beim Nächsten. Leider scheint heute all ihr lieb schauen nicht von Erfolg gekrönt zu sein.

 

Zu meiner eigenen Überraschung bin diesmal ich diejenige, die nachgibt. Als Minnie sich wieder zu ihrem Körbchen zurückbegeben will, strecke ich meinen Arm nach unten und halte ihr ein Stückchen Kartoffel aus dem Erdäpfelaufstrich hin. Da wedelt Minnie glücklich, schmatzt und leckt sich rund ums Mäulchen. „Hab ichs doch gewusst!“ – denkt sie wahrscheinlich bei sich und legt sich zufrieden wieder in ihr Körbchen.

 

Die Familie unterhält sich, scherzt und lacht zusammen, als Oma sich entschließt, nach Hause zu fahren. „Ich fahr lieber, so lang es draußen noch einigermaßen hell ist.“, lässt sie uns alle wissen.

 

Sie zieht Schuhe und Jacke an, nimmt ihre Tasche und sucht dann wie üblich ihre Schlüssel. Als diese auf der Kommode gefunden werden, verabschiedet sich Oma nochmal von allen.

 

Auch Minnie ist furchtbar aufgeregt und setzt alles daran, um mit hinaus in die Einfahrt zu dürfen. 

Es ist wohl an der Zeit, Minnie „ihr Geschäft“ erledigen zu lassen – das denke ich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls.

 

Draußen wedelt sie was das Zeug hält und läuft immer wieder zu Omas Auto, sodass Oma sich nicht traut, loszufahren. Nicht ahnend, dass Minnie etwas ganz anderes im Sinn hat, nehme ich sie auf den Arm, sodass Oma bedenkenlos ausparken kann. 

 

Als sie langsam den Hügel hinunterrollt, lasse ich Minnie wieder runter.

Die Flucht

Urplötzlich rennt Minnie wie von der Tarantel gestochen hinter Omas Auto her. So schnell rennt sie sonst nur, wenn ein Leckerli auf sie wartet. Laut schreie ich „Minnie neeeeiiiinnnn“, aber Minnie hört nicht.

 

 

„Minnie stop, Miiiiiniiiie!“ im Halbdunkel des Abends ist sie schwer zu erkennen und taucht immer erst im Lichtkegel der nächsten Straßenlaterne gut sichtbar auf.

 

 

„Minnie warte, bleib jetzt sofort stehen!“ rufe ich lauter und lauter, doch Minnie rennt einfach weiter hinter Omas Auto her.

 

 

„Minnie bleib sofort stehen!“ rufe ich inzwischen verzweifelt und laufe in meinen Badelatschen wackelig hinterher.

 

 

Mein Rufen ist so laut, dass Oma es in ihrem Auto fahrend hört und ganz vorsichtig stehen bleibt, um Minnie nicht versehentlich zu überfahren.

 

 

„Minnie warte!“ schreie ich wieder lauthals und laufe so schnell ich kann hinterher.

 

 

Endlich wird Minnie langsamer, bleibt stehen und drückt ihren Hundekörper ängstlich an die Böschung.

 

 

Bei ihr angekommen, hebe ich sie hoch und schimpfe sie laut. Zeitgleich drücke mein Lausemädchen fest an mich, unsagbar erleichtert, dass alles gut gegangen ist. Minnies Herz schlägt so schnell, dass ich aufhöre zu schimpfen und sie nur noch festhalte.

 

 

Oma hat inzwischen die Seitenscheibe ihres Autos geöffnet und vergewissert sich, ob alles in Ordnung ist. Ihre Bremslichter werfen einen rötlichen Lichtschimmer auf uns, sodass sie über ihren Rück- und Seitenspiegel gut erkennen kann, dass Minnie nichts passiert ist. Sichtlich beruhigt, verabschiedet sie sich nochmals und macht dann sich auf den Heimweg

.

 

Ich lasse Minnie erst wieder los, als ich mit ihr im Haus bin und die Haustüre fest verschlossen ist.

 

Immer noch schlägt mein Herz schneller, als ich – zurück im Haus – den anderen von Minnies Kamikaze-Aktion erzähle.

 

 

Schließlich lachen alle, und sind sich einig: Minnie liebt Oma halt einfach unbeschreiblich!

Die Erkenntnis

Meine angestrebte Altersgelassenheit, auf die ich so hoffte, hat sich leider nicht eingestellt.

 

Unser kleines Minnie-Lausemädchen hat mir mit ihrem Fluchtversuch allerdings aufgezeigt, dass sie ihre ganz eigenen Ziele verfolgt und wir in Sachen Hundeerziehung wohl noch Trainingsbedarf haben.

Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.

Laotse

Bildnachweis: Manuela Hofer

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