Viele von uns erinnern sich noch gut an diesen Ausspruch aus der Kindheit: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Doch was bedeutet dieser Satz eigentlich und welche Auswirkungen hat er?
Dazu eine kleine Geschichte
Ella war eine kleine Abenteurerin, die fest an den Spruch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ glaubte, da ihr Vater ihn oft benutzte.
Eines Tages stolperte sie beim Spielen mit ihren Freunden im Wald und schürfte sich das Knie auf. Sie biss die Zähne zusammen und rief tapfer: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“
Als sie nach Hause kam, bemerkte ihre Mutter Ellas schmutziges und blutiges Knie. „Ella, was ist passiert?“ fragte sie besorgt. Ella antwortete stolz: „Nichts, Mama. Ich bin ein Indianer, wie Papa, der kennt keinen Schmerz!“ Ihre Mutter lächelte sanft und sagte: „Ella, auch Indianer haben Gefühle. Erzähl doch mal, was ist passiert?“
Dann erzählte Ella ihrer Mutter von ihrem Sturz und wie sie versucht hatte, den Schmerz zu ignorieren. Ihre Mutter kümmerte sich liebevoll um die Wunde und erklärte ihr, dass diese sich entzünden und zu größeren Schmerzen führen könnte, wenn sie nicht ordentlich gereinigt würde. Dann schaute sie Ella in die Augen und sagte: „Weißt du Ella, wahre Stärke besteht nicht darin, den Schmerz zu ignorieren, sondern den Mut zu haben, um Unterstützung zu bitten, wenn man alleine nicht mehr weiterweiß.“
Der Ursprung
Die Wurzeln dieses Ausspruchs liegen vermutlich in dem Buch „Schatz im Silbersee“ von Karl May. Geprägt wurde er in einer Zeit, in der Durchhaltevermögen und Stärke im Mittelpunkt standen, in den Nachkriegsjahren. Ältere Kinder kümmerten sich damals häufig um ihre jüngeren Geschwister, und sobald sie körperlich dazu in der Lage waren, mussten alle mithelfen, den Alltag zu bewältigen. Eltern waren außerdem angehalten, die Bedürfnisse ihrer Kleinkinder gezielt zu ignorieren. Körperliche Zuwendung war verpönt. Diskussionen oder intensive Zuwendung waren schlichtweg nicht zeitgemäß. Ordnung, Fleiß und Sittsamkeit waren die geltenden Ideale. Es herrschte eine emotionsarme und autoritäre Erziehung. Es war eine Zeit, in der es galt, alle Herausforderungen ohne Klagen zu ertragen.
Wie ist es heute?
Die Überzeugung, dass Gefühle versteckt und Schmerz unterdrückt werden müssen, gibt es auch heute noch in unserer Gesellschaft. Heutzutage geben immer weniger Eltern diese Überzeugung an ihre Kinder weiter, aber die Verhaltensweisen aus vergangenen Generationen sind noch weit verbreitet.
Damals mussten die Menschen lernen, stark und tapfer zu sein, ihre Gefühle nicht öffentlich zeigen und keinen Schmerz zuzulassen. Was dazu führte, dass sie es immer noch hervorragend beherrschen, ihre eigenen Emotionen zu ignorieren und zu unterdrücken. Viele Erwachsene haben leider nie gelernt, über ihre wirklichen Gefühle zu sprechen. Die eigene Unzufriedenheit und Frustration zeigt sich daher oft nur durch aufbrausendes Verhalten und Aggressionen. Das eigentliche Problem bleibt dabei unerkannt. Nämlich die unerfüllten Bedürfnisse, die sich hinter Aggression und aufbrausendem Verhalten und der völligen Ablehnung, darüber zu sprechen, verstecken.
Mittlerweile wissen wir, dass das Ignorieren von Schmerz und Emotionen langfristig negative Folgen haben kann. Das Immunsystem wird geschwächt, was die Anfälligkeit für Infektionen erhöht. Außerdem können unterdrückte Emotionen verschiedene körperliche Stressreaktionen auslösen, wie Bluthochdruck, Herzkrankheiten und Magenprobleme.
Auch das persönliche Umfeld erlebt diese unterdrückten Gefühle mit, weil immer wieder Missverständnisse oder Konflikte auftreten und eine offene ehrliche Kommunikation fehlt. Es ist nie zu spät um umzudenken und etwas für das eigene Wohlbefinden zu tun – das persönlich Umfeld wird es dir danken.
Großeltern, Eltern und Erziehungsberechtigte sollten sich daher bewusst machen, wie ihre eigenen Überzeugungen und Einstellungen die Entwicklung ihrer (Enkel-)Kinder prägen können. Kindererziehung sollte einen Raum bieten, in dem Kinder lernen, ihre Gefühle auszudrücken und mit ihnen umzugehen.
Weder eine übertriebene Härte noch ein komplettes Ignorieren von Schmerz und Emotionen sind der richtige Weg.
Vielmehr geht es darum, Kinder zu unterstützen, ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu erkennen und ihnen zu helfen, gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Unsere Gesellschaft basiert auf Regeln und Grenzen. Es ist wichtig, dass unsere Kinder lernen, sich in diesem Rahmen zurechtzufinden und trotzdem ihre eigenen Stärken zu entwickeln.
1 kleiner Tipp für den Alltag
Für alle, die fürchten, ihr Kind könnte sich zur Jammersuse entwickeln, wenn ständig über Gefühle gesprochen wird, habe ich einen einfachen Tipp: Kinder sind kreativ im Entwickeln von Wegen, um die Aufmerksamkeit der Eltern für sich zu gewinnen. Zum Beispiel durchschauen Kinder schnell, dass wenn es ihnen schlecht geht, die Eltern sofort als Problemlöser zur Stelle stehen. Je besser dies funktioniert, desto häufiger werden Kinder diesen Weg wählen.
Lasse dein Kind daher die Erfahrung machen, dass du auch dann interessiert bist, dem Kind zuzuhören und dich mit ihm zu unterhalten, wenn es ihm gut geht und es von schönen Erlebnissen erzählt. Tauscht euch häufiger über positive Erlebnisse aus, lacht zusammen und schmiedet Pläne, um noch mehr positives zu erleben. So müssen im Alltag viel weniger Probleme gelöst werden und es kann mehr Raum für positives entstehen.
Kindererziehung steht heutzutage im Zeichen der Förderung und Vielseitigkeit. Kinder sollen umfassend gefördert werden und Zugang zu einem breiten Freizeitangebot haben, um ihre Interessen zu entwickeln. Doch führt die ständige Organisation und Finanzierung der vielfältigen Aktivitäten oftmals zu Stress und dem Druck, alles perfekt machen zu wollen.
Rufen wir uns daher regelmäßig in Erinnerung: Glückliche und entspannte Eltern tragen maßgeblich zum Wohlbefinden ihrer Kinder bei. Wenn Eltern sich überlastet oder unglücklich fühlen, können auch ihre Kinder davon betroffen sein.
Was hat sich geändert?
Trainer, Coaches für Persönlichkeitsentwicklung und Achtsamkeitstrainer erleben seit Jahren stetigen Zulauf. Immer mehr Erwachsene beginnen, die emotionalen Narben ihrer Kindheit zu erkennen. Sie trauen sich, ihre Probleme zu hinterfragen und sich selbst zu verändern.
Was sie alle gemeinsam haben: Verborgene und verdrängte Gefühle aus der Vergangenheit werden wieder ans Licht geholt und neu betrachtet.
Durch bewusstes Neubewerten mit den Erfahrungen eines heute Erwachsenen ist es möglich, automatische Verhaltensmuster zu durchbrechen und Raum für neue Denkansätze zu schaffen.
Fazit
Der Ausspruch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ hatte vielleicht seine Berechtigung in der Vergangenheit. Doch heutzutage ist es entscheidend, sowohl Kinder als auch Erwachsene dabei zu unterstützen, ihre Gefühle zu wahrzunehmen und zu verstehen. Dies fördert ein besseres Verständnis füreinander und ermöglicht es, das eigene Leben zu genießen und erfüllterer zu gestalten, ohne Teile des eigenen Selbst zu verleugnen zu müssen.
Ein Mensch, der sich innerlich ausgeglichen fühlt, zeigt sich auch im Umgang mit anderen ruhiger, umgänglicher, liebevoller und aufmerksamer.
Ein Umfeld aus Menschen, die weniger unzufrieden, streitsüchtig und rechthaberisch sind, würde unsere Welt zu einem viel angenehmeren Ort machen.
Kinder machen nicht das was wir sagen, sondern das was wir tun.
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